Auch Ärzte und andere Heilberufler, die ausschließlich umsatzsteuerfreie Heilbehandlungen durchführen, können verpflichtet sein, Umsatzsteuer an das Finanzamt abzuführen. Das gilt etwa dann, wenn sie einen Einkauf von Dienstleistungen und Waren aus dem EU-Ausland für die Arztpraxis tätigen.
Umsatzsteuerpflicht und Vorsteuerabzug bei Ärzten – Grundlagen
Grundsätzlich sind selbstständig in ihrer Praxis tätige Ärzte und sonstige Heilberufler wie jeder Unternehmer umsatzsteuerpflichtig. Allerdings enthält das Umsatzsteuergesetz einen Befreiungstatbestand für alle Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin. Danach sind alle ärztlichen und sonstigen heilberuflichen Tätigkeiten von der Umsatzsteuer befreit, die der Diagnose, der Linderung oder Genesung von Krankheiten und Gesundheitsstörungen, der Gesundheitserhaltung oder dem vorbeugenden Gesundheitsschutz von Patienten dienen. Ein medizinisch-therapeutisches Ziel muss im Vordergrund der Behandlung stehen, ein direkter Krankheitsbezug gegeben sein. Nur Heilbehandlungen sind umsatzsteuerfrei. Alle anderen Tätigkeiten ohne spezifischen Krankheitsbezug (Allgemeinprophylaxe, kosmetische Leistungen u.a.) fallen nicht unter die USt-Befreiung.
Steuerpflichtige Umsätze führen jedoch zwangsläufig zu einer Erhebung der Umsatzsteuer. Erst wenn die steuerpflichtigen Umsätze die Grenze von 22.000 EUR im Kalenderjahr übersteigen oder der Arzt bei geringeren Umsätzen auf die sog. Kleinunternehmerschaft verzichtet, ist Umsatzsteuer zu zahlen.
Mit der Umsatzsteuerpflicht oder Umsatzsteuerbefreiung auf der einen Seite korrespondiert auf der anderen Seite das Recht die Vorsteuer aus den Rechnungen von Dritten, Lieferanten oder Dienstleistern, gegenüber dem Finanzamt geltend zu machen. Entscheidend ist hierbei, ob der Arzt den Einkauf für eine steuerfreie Heilbehandlung oder eine steuerpflichtige andere Tätigkeit verwendet oder zu verwenden plant. Nur die Vorsteuer aus Kosten, die umsatzsteuerpflichtige Leistungen betreffen, können in Abzug gebracht werden. Für Kleinunternehmer entfällt mit der Umsatzsteuerpflicht auch die Möglichkeit des Vorsteuer-Abzugs.
Anderes gilt bei dem Bezug von Dienstleistungen und Waren aus dem EU-Ausland für die Arztpraxis.
Bezug von Dienstleistungen und Waren aus dem EU-Ausland
Nicht nur durch das Anbieten von steuerpflichtigen Leistungen können Ärzte oder sonstige Heilberufler umsatzsteuerpflichtig werden. Auch bei dem Einkauf von Dienstleistungen und Waren aus dem EU-Ausland für die Arztpraxis kann es zu umsatzsteuerlichen Pflichten kommen, selbst wenn der niedergelassene Arzt oder Heilberufler ansonsten ausschließlich umsatzsteuerfreie Leistungen erbringt.
Steuerschuldumkehr bei EU-Dienstleistungen (Reserve-Charge-Verfahren)
Bezieht ein Arzt Dienstleistungen aus dem EU-Ausland (z.B. Beratungs- oder Reparaturleistungen, Werbeleistungen), so geht die Steuerumsatzschuld auf den Arzt als Unternehmer über (sog. Reserve-Charge-Verfahren). Denn bei grenzüberschreitenden sonstigen Leistungen ist der Empfängerort der für die Umsatzsteuerschuld maßgebliche Ort. Der inländische Arzt hat damit für die empfangene Leistung die Umsatzsteuer für den ausländischen Dienstleister abzuführen.
Praxisbeispiel
Wenn Sie Ihre Praxis zum Beispiel über Google Adwords bewerben, so unterliegen Sie dem Reserve-Charge-Verfahren. Google Ireland Ltd. hat seinen Sitz im EU-Ausland. Die Umsatzsteuerzahllast verlagert sich auf Sie als inländischem Leistungsempfänger. Folglich sind Sie verpflichtet, die Umsatzsteuer für die bezogene Dienstleistung zu berechnen (Regelsteuersatz von 19%) und an das Finanzamt abzuführen.
Weitere mögliche Praxisfälle für den Übergang der Steuerschuldnerschaft bei dem Bezug von Dienstleistungen aus dem EU-Ausland für die Arztpraxis sind die Reparaturen oder Wartungsarbeiten an Geräten durch ausländische Firmen, Renovierungsarbeiten durch ausländische Unternehmer oder bei Zahnärzten der Einkauf von Gold mit einem Feingehalt von mindestens 325/1000 für die Herstellung von Zahnersatz.
Rechnungserstellung im Reserve-Charge-Verfahren
Im Reserve-Charge-Verfahren stellt der Leistungserbringer aus dem EU-Ausland nur den Netto-Betrag der Leistung in Rechnung. Zusätzlich muss er in der Rechnung darauf hinweisen, dass der Leistungsempfänger dem Finanzamt gegenüber umsatzsteuerpflichtig ist. Doch auch wenn der Hinweis auf die Steuerschuldumkehr fehlt, bleibt der Leistungsempfänger, in diesem Fall der Arzt, Steuerschuldner und muss die Umsatzsteuer selbst an das Finanzamt abführen.
Praxistipp
Wenn Sie sich gegenüber dem ausländischen Unternehmen nicht als Unternehmer ausweisen, wird Ihnen möglicherweise eine Rechnung mit Umsatzsteuer ausgestellt. Auch in diesem Fall schulden Sie – zusätzlich zu dem höheren Rechnungsbetrag – die Umsatzsteuer, die Sie nach dem Nettobetrag selbst zu errechnen haben. Beantragen Sie daher beim Bundesamt für Steuern eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.), die Sie gegenüber den leistenden ausländischen Unternehmen angeben. Die USt-IdNr. dient innerhalb der Europäischen Union als Nachweis der Unternehmereigenschaft und bewirkt, dass Sie künftig bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen keine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis mehr erhalten.
Kleinunternehmerregelung und Steuerschuldumkehr
Die Steuerschuldumkehr im Reserve-Charge-Verfahren gilt auch ungeachtet der Kleinunternehmer-Regelung. Auch wenn ein Arzt als Kleinunternehmer steuerpflichtige Umsätze unter 22.000 EUR erzielt und damit im Inland von der Verpflichtung befreit ist, für den Veranlagungszeitraum Umsatzsteuer zu entrichten, muss er bei dem Bezug von EU-Dienstleistungen Umsatzsteuer abführen.
Warenbezug aus dem EU-Ausland (Innergemeinschaftlicher Erwerb)
Sonderregelungen gelten auch beim Auslandswarenbezug. Wenn ein Arzt oder sonstiger Heilberufler Waren (z.B. Büro- oder Behandlungsmaterialien) aus dem EU-Ausland erwirbt, ist immer zu prüfen, ob es sich steuerrechtlich um einen innergemeinschaftlichen Erwerb handelt. Denn auch bei einem innergemeinschaftlichen Erwerb kehrt sich die Steuerschuld vom Leistungserbringer, dem Lieferanten, zum Erwerber der Waren um. Bei einem innergemeinschaftlichen Erwerb hat der Käufer im Inland den Erwerb der Umsatzsteuer zu unterwerfen. Das gilt insbesondere dann, wenn er ganz oder zum Teil zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.
Schwellenerwerber und Erwerbsschwelle
Eine Ausnahme sieht das Umsatzsteuergesetz für sog. Schwellenerwerber vor. Danach liegt kein umsatzsteuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb vor, wenn der ärztliche Erwerber ausschließlich umsatzsteuerfreie Umsätze tätigt, die den Vorsteuerabzug ausschließen.
Doch häufig sind Ärzte und insbesondere Zahnärzte umsatzsteuerlich Kleinunternehmer.
Bei Kleinunternehmern, die nur geringfügig steuerpflichtige Umsätze tätigen, unterliegt der innergemeinschaftliche Erwerb nur dann nicht der Umsatzsteuer, wenn sein Wareneinkauf im EU-Ausland die Erwerbsschwelle in Höhe von 12.500 EUR weder im vorangegangenen Kalenderjahr noch im laufenden Kalenderjahr überschreitet. Umsatzsteuerlich wird ein Schwellenerwerber wie eine Privatperson behandelt. Dabei verrechnet der liefernde Unternehmer die Umsatzsteuer des Ursprungslandes.
Praxisbeispiel
Ein Arzt (Schwellenerwerber) kauft Büromaterialien über Amazon im EU-Ausland ein. Er weist sich gegenüber dem Händler nicht als Unternehmer aus und erhält eine Rechnung über 100 EUR netto zzgl. Umsatzsteuer. Es handelt sich hierbei nicht um einen innergemeinschaftlichen Erwerb. Folglich muss auch keine Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt werden.
Überschreitet dagegen der Arzt als Erwerber beim Einkauf der EU-Waren die Erwerbsschwelle von 12.500 EUR, liegt ein innergemeinschaftlicher Erwerb vor. Der Arzt hat als Käufer in diesem Fall die Erwerbsbesteuerung im Inland durchzuführen. Dazu muss er die Höhe der Umsatzsteuer mit 7% oder
19 % ermitteln und diese an sein Finanzamt abführen. Zur Ermittlung der Erwerbsschwelle sind von ihm alle seine innergemeinschaftlichen Einkäufe von Gegenständen aus allen EU-Mitgliedsstaaten zusammenzurechnen. Ob er im Gegenzug die abgeführte Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehen kann, ist von seiner Vorsteuerabzugsberechtigung abhängig.
Rechnung mit und ohne Umsatzsteuerausweis
Die Rechnung des ausländischen Lieferanten wird bei einem innergemeinschaftlichen Erwerb nur in Höhe des Nettobetrages ausgestellt. Voraussetzung dafür ist, dass sich der Erwerber gegenüber dem Lieferanten als Unternehmer zu erkennen gibt. Das kann geschehen, indem er dem liefernden Unternehmen seine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer übermittelt oder bei Bestellungen über Amazon sich ein Amazon-Business-Konto anlegt.
Das Gleiche gilt, wenn ein Arzt als Schwellenerwerber bei einer Bestellung seine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer angibt. Dann werden ihm vom Lieferanten die Einkäufe aus dem EU-Ausland netto, ohne Umsatzsteuerausweis, in Rechnung gestellt.
Wenn für den Lieferanten aus dem EU-Ausland nicht ersichtlich ist, dass es sich bei seinem Kunden um einen Unternehmer handelt, wird er ihm eine Rechnung zzgl. Umsatzsteuer (brutto) ausstellen. Wird in diesem Fall die Erwerbsschwelle überschritten, oder wurde zur Erwerbsbesteuerung optiert, muss der Erwerber trotzdem Umsatzsteuer abführen.
Option zur Erwerbsbesteuerung
Auch wenn ein Arzt als Schwellenerwerber die Erwerbsschwelle nicht überschreitet, kann er freiwillig zur Erwerbsbesteuerung optieren, indem er formlos gegenüber dem Lieferanten seine USt-IdNr. verwendet. Das kann sinnvoll sein, sobald die ausländische Umsatzsteuer höher ist als die inländische Umsatzsteuer. Es ist allerdings zu beachten, dass diese Option den Käufer auf mindestens zwei Jahre bindet.
Vorsteuerabzug bei dem Bezug von Waren und Dienstleistungen aus dem EU-Ausland
Weist sich ein Arzt oder sonstiger Heilberufler gegenüber dem Lieferanten als Unternehmer aus, erhält er eine Rechnung ohne Umsatzsteuerausweis. Ist er gleichzeitig ganz oder teilweise zum Vorsteuerabzug berechtigt, so kann er die Umsatzsteuer aus dem innergemeinschaftlichen Erwerb analog wieder ganz oder teilweise als Vorsteuer abziehen. Das Gleiche gilt für den Bezug von Dienstleistungen aus dem EU-Ausland. Sollte der Arzt nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sein, trägt er nur die Umsatzsteuerzahllast aus dem Einkauf.
FAZIT
Der Einkauf von Dienstleistungen und Waren aus dem EU-Ausland kann sich für Sie als Arzt oder sonstiger Heilberufler leicht als Umsatzsteuerfalle erweisen. Das gilt insbesondere dann, wenn Sie Ihre umsatzsteuerlichen Pflichten aus dem Reverse-Charge-Verfahren und bei der Überschreitung der Erwerbsschwelle nicht beachten. Setzten Sie sich zu dieser Problematik mit Ihrem steuerlichen Berater in Verbindung. Zusammen mit ihm können Sie auch eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer beantragen, auch wenn Sie nur umsatzsteuerfreie oder geringfügig umsatzsteuerpflichtige Leistungen als Kleinunternehmer erbringen.