Warum ist die Frage nach der Umsatzsteuer bei IGeL-Leistungen so relevant?
Seit der Einführung der individuellen Gesundheitsleistungen in den 1990er Jahren sind die daraus generierten Umsätze zu einem wichtigen Bestandteil der Einnahmen in den vertragsärztlichen Praxen geworden. Laut dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung geben gesetzlich Krankenversicherte jährlich etwa 1 Milliarde Euro für IGeL-Leistungen in deutschen Arztpraxen aus.
Mehr als jedem vierten gesetzlich Krankenversicherten (28,9 %) ist in 2019 eine ärztliche Leistung als individuelle Gesundheitsleistung angeboten worden, wie das wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) in einer repräsentativen Umfrage ermittelte.
Aufgrund der zunehmenden Relevanz stellt mittlerweile auch die Frage nach der Umsatzsteuer bei IGeL-Leistungen ein wichtiges Prüfungsfeld für das Finanzamt dar. Um Probleme bei Betriebsprüfungen zu vermeiden, sollten Sie daher die Umsatzsteuerpflicht Ihrer Leistungen prüfen.
Welche Fachgruppen bieten IGeL-Leistungen an?
Nahezu drei Viertel der IGeL-Angebote sind dabei auf fünf ärztlichen Fachgruppen zurückzuführen: Frauenärzte (28 %), Augenärzte (22 %), Orthopäden (13 %) Hautärzten (6 %) und Urologen (3 %). Praktischen Ärzte und Allgemeinmedizinern sind zusammen 19 % der Angebote zuzurechnen. Auch von Psychotherapeuten, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, werden individuelle Gesundheitsleistungen angeboten.
Tipp: IGeL-Leistungen sind nicht nur für Ärzte von Interesse, sondern auch für Therapeuten (z.B. Psychotherapeuten, Physiotherapeuten) und Angehörigen von Gesundheitsfachberufen (Logopäden, Hebammen, Masseure).
Was sind individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL)?
Nach Definition der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sind IGeL-Leistungen ärztliche Zusatzleistungen, die nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehören, jedoch von GKV-Patienten nachgefragt werden, aus ärztlicher Sicht empfehlenswert sind oder aufgrund des Patientenwunsches zumindest ärztlich vertretbar erscheinen. Sie sind grundsätzlich vom gesetzlich Versicherten selbst zu bezahlen. Das gilt unabhängig davon, ob der Arzt sie vorgeschlagen hat oder der Patient sie selbst wünschte (Selbstzahlerleistungen).
Unterschieden werden können Individuelle Gesundheitsleistungen wie folgt:
- Leistungen, die nach Auffassung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), (noch) nicht nachweisen konnten, dass sie „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten“ (z.B. Augeninnendruckmessung zur Glaukomfrüherkennung, neuere Behandlungsmethoden)
- ärztliche Leistungen außerhalb des Versorgungsumfangs der gesetzlichen Krankenkassen (z.B. Bescheinigungen zur Flugtauglichkeit)
- Leistungen ohne medizinische Zielsetzung, die aus ärztlicher Sicht aber vertretbar erscheinen (z.B. Schönheitsoperationen)
Tipp: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist das Gremium, das darüber entscheidet, welche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen werden. Leistungen, die von ihm abgelehnt wurden oder über die er noch keine Entscheidung getroffen hat, werden oft als IGeL angeboten.
Welche IGeL-Leistungen werden angeboten?
Der IGeL-Markt ist dynamisch. Da die Selbstzahlerleistungen nicht zentral erfasst werden, existiert weder eine vollständige Liste aller am Markt angebotenen IGeL-Leistungen, noch eine Aufstellung ihrer Kosten. Zu den am häufigsten angebotenen und nachgefragten IGeL-Leistungen am Markt zählen laut IGeL-Report 2020 neben Früherkennungsuntersuchungen, labormedizinische Wunschleistungen, reisemedizinische Vorsorgeleistungen (Impfungen) und ärztliche Serviceleistungen (Atteste, Bescheinigungen). Dabei werden die individuellen Gesundheitsleistungen zu 80 Prozent von den Ärzten angeboten, während etwa 20 Prozent Wunschleistungen der Patienten sind.
Steuerliche Herausforderungen von IGeL
Ärzte und Psychotherapeuten, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen und IGeL anbieten, sollten sich auch der damit verbundenen steuerrechtlichen Pflichten und Risiken bewusst sein. Nicht zuletzt deshalb, weil die IGeL immer wieder Gegenstand bei Betriebsprüfungen sind. Im Rahmen von Betriebsprüfungen können die Aufwendungen für IGeL-Leistungen, insbesondere der Investitionsaufwand für teure Geräte mit ihrer tatsächlichen Nutzung verglichen werden. Wenn das Verhältnis von IGeL-Einnahmen und Ausgaben von dem vergleichbarer Praxen abweicht und diese Abweichungen nicht erklärt werden können, kann es zur Hinzuschätzung von Einnahmen kommen.
Geprüft wird aber nicht nur, ob die Einnahmen aus IGeL in zutreffender Höhe erfasst wurden, sondern auch deren umsatzsteuerliche Behandlung. Das bedeutet, dass jeder, der IGeL anbietet sich auch mit der Frage nach ihrer Umsatzsteuerpflicht auseinandersetzen muss.
IGeL Leistungen & Umsatzsteuer
Nach dem Umsatzsteuergesetz (§ 4 Nr. 14 UStG) sind Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin grundsätzlich von der Umsatzsteuer befreit. Die Norm ist für die im Gesetz aufgelisteten „Katalogberufe“ (Arzt, Zahnarzt, Psychotherapeut, Physiotherapeut, Hebamme, u.a.) anwendbar. Aber nicht alle Tätigkeiten der heilberuflich Tätigen sind umsatzsteuerfrei. Die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr.14 UStG ist nach Maßgabe des EuGH (Urteil vom 14.09.2000) tätigkeitsbezogen auszulegen.
Danach sind heilberufliche Maßnahmen, also auch IGeL, nur dann umsatzsteuerfrei, wenn sie der Diagnose, Behandlung und – soweit möglich – der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen, sowie dem vorbeugenden Gesundheitsschutz dienen, kurz: alle Heilbehandlungen. Entscheidend ist allein das Kriterium der medizinischen Indikation. Bei der erbrachten Leistung muss ein medizinisch-therapeutisches Ziel zweifelsfrei im Vordergrund stehen. Ebenso gilt, dass die Ablehnung der Kostenübernahme einer Behandlung durch die gesetzlichen Krankenkassen – wie im Fall der IGeL – noch nicht ihre Umsatzsteuerpflicht begründet.
Umsatzsteuerliche Prüfung von IGeL-Leistung
Das bedeutet konkret: Jede IGeL-Leistung ist umsatzsteuerlich darauf zu prüfen, ob ihr ein medizinisch-therapeutisches Ziel zugrunde liegt. Umsatzsteuerlich können sie generell in drei Kategorien eingeteilt werden:
- umsatzsteuerfrei sind alle IGeL, die unstrittig einem medizinisch-therapeutischen Ziel dienen, wie die prophylaktischen Leistungen der Krebsfrüherkennung
- umsatzsteuerpflichtig sind alle IGeL ohne Krankheitsbezug, bei denen die Verbesserung des körperlichen Wohlbefindens entscheidend ist (kosmetische Leistungen, Vitaminkuren, Anti-Aging-Behandlungen)
- umsatzsteuerlich im Einzelfall zu prüfen sind IGeL, deren medizinische Indikation nicht eindeutig zu beantworten ist, insbesondere bei neuen Therapieformen
Umsatzsteuerliche Risiken und Unsicherheiten
Gerade bei der letzten Kategorie bestehen steuerrechtliche Unsicherheiten. Im Zweifelsfall ist die Umsatzsteuerpflicht einer IGeL von der Rechtsauffassung des jeweiligen Finanzamtes abhängig. Entscheidende Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang einer ausführlichen und detaillierten Dokumentation der Behandlungen zu. Denn die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen der Umsatzsteuerbefreiung, das Vorliegen einer Heilbehandlung, liegt nach allgemeinen steuerlichen Grundsätzen allein beim heilberuflich Tätigen, der sich auf die Steuerbefreiung beruft.
Tipp: Bei Betriebsprüfungen werden nicht abgeführte Umsatzsteuern – oft für mehrere Veranlagungsjahre – nachgefordert. Zusammen mit den Nachzahlungszinsen können sie je nach Umfang einen erheblichen Kostenfaktor für die Praxis darstellen.
Aufzeichnungspflichten und Dokumentation
Für niedergelassene Vertragsärzte und andere Heilberufler bestehen in der Regel keine Buchführungspflichten. Allerdings müssen Sie als Arzt oder heilberuflich Tätiger bestimmte Aufzeichnungspflichten für steuerliche Zwecke erfüllen.
Das gilt insbesondere dann, wenn Sie individuelle Gesundheitsleistungen außerhalb des Abrechnungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung anbieten. Damit obliegt es Ihnen die medizinisch-therapeutische Indikation nachprüfbar und einzelfallbezogen zu dokumentieren. Dazu sind die Anamnese, Diagnosen, Behandlungsziele, durchgeführte Behandlungen und das Behandlungsergebnis in der Patientenakte festzuhalten.
Ohne eine detaillierte Dokumentation ist es im Streitfall fast unmöglich, die Gründe für die Umsatzsteuerfreiheit einer Leistung nachzuvollziehen und nicht angebrachten Forderungen des Finanzamtes zu begegnen.
Tipp: Konkrete und einheitliche Vorgaben von Seiten der Rechtsprechung oder Finanzverwaltung, wie die Dokumentation auszusehen hat, liegen nicht vor, entscheidend ist der Nachweis der diagnostischen, therapeutischen oder präventiven medizinischen Indikation.
Behandlungsvertrag und Abrechnung
Vor der Behandlung müssen Sie als Arzt oder heilberuflich Tätiger zwingend einen schriftlichen Vertrag mit dem Patienten schließen. Dieser muss eine genaue Beschreibung der individuellen Gesundheitsleistung, wie Angaben über das voraussichtliche Gesamthonorar und eine Belehrung über die fehlende Erstattungsfähigkeit der Kosten enthalten.
Mit dem Behandlungsvertrag wird der Patient zum Privatpatienten. Damit unterliegt die Abrechnung der amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) und den dort aufgeführten gebührenrechtlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rechnungsstellung. Die Rechnung muss danach neben dem Briefkopf der Praxis, die Diagnose, das Datum, die durchgeführten Behandlungen, den GOÄ-Steigerungssatz, die Rechnungssumme und – bei umsatzsteuerlichen Leistungen – den anzuwendenden Steuersatz mit dem auf das Entgelt entfallenden Steuerbetrag aufweisen. Barzahlungen ohne Rechnung oder ohne Beleg sind unzulässig.
Sowohl der Behandlungsvertrag als auch die Rechnung bieten die Möglichkeit neben der Leistungsbeschreibung zusätzliche Angaben zur medizinischen Indikation und dem therapeutischen Ziel einzufügen, um der Dokumentationspflicht und ggf. dem Nachweis der Umsatzsteuerbefreiung zu genügen. Denn nur eine Rechnung, die eine medizinische Diagnose enthält, unterliegt nicht der Umsatzsteuer. Fehlt die Angabe einer Diagnose, kann dies bei Betriebsprüfungen zu Nachzahlungen von Umsatzsteuer führen. Auch der Patient kann nur Rechnungen mit Diagnosen im Rahmen seiner Steuererklärung als „außergewöhnliche Belastung“ geltend machen.
Tipp: Bei umsatzsteuerpflichtigen IGeL-Leistungen muss eine ordnungsgemäße Rechnung gem. § 14 Abs. 4 UStG erstellt werden.
Keine Umsatzsteuerzahlungen als Kleinunternehmer
Ärzte und andere Heilberufler, deren steuerpflichtige Umsätze (also umsatzsteuerpflichtige IGeL, Gutachten oder Verkäufe) in ihrer Gesamtheit den Betrag von 22.000 EUR im Vorjahr nicht überschritten haben und im laufenden Kalenderjahr den Betrag von 50.000 EUR voraussichtlich nicht übersteigen werden, unterliegen als sog. Kleinunternehmer nicht der Umsatzsteuerpflicht (§ 19, Abs.1 UStG).
Allerdings kann es für Sie als Arzt auch vorteilhaft sein, auf die umsatzsteuerbefreiende Kleinunternehmer-Regelung zu verzichten. Denn der mit der Umsatzsteuerpflicht korrespondierende Vorsteuerabzug bietet Ihnen die Möglichkeit bei gleichzeitig hohen Ausgaben für IGeL-Leistungen (z.B. für Geräte und anderes Material) die eigene Steuerschuld zu senken.
Übersteigen die umsatzsteuerpflichtigen Ausgaben die Einnahmen ergibt sich für Sie sogar ein Rückerstattungsanspruch gegenüber dem Finanzamt. Die Frage, ob auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung verzichtet und zur Umsatzsteuerpflicht optiert werden soll, ist je nach Einzelfall in einer steuerlichen Beratung zu erörtern.
Tipp: Beim Angebot von IGeL-Leistungen sind Vorgaben und Gesetze, wie sie im Bundesmantelvertrag – Ärzte, dem „Patientenrechtgesetz“ und dem Ratgeber „Selbst zahlen?“ der Bundesärztekammer und Kassenärztlichen Bundevereinigung formuliert vorliegen, einzuhalten. Der IGeL-Monitor hat dazu die drei Werke ausgewertet und in 15 Regeln zur Orientierung für Ärzte und Patienten zusammengefasst.